Mitglieder und Freunde der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Merkstein erlebten bei einem Spaziergang durch Alt-Merkstein die so spannende wie abwechslungsreiche Historie des ältesten Ortsteils der Stadt Herzogenrath.
Die Gruppe auf dem Parkplatz Hauptstraße in Alt-Merkstein. Einstimmung auf den Rundgang.
Treffpunkt war der Parkplatz an der Hauptstraße und gleich hier, vis á vis der Gemeinschaftsgrundschule, wurden die 27 Teilnehmer um Jahrhunderte zurückversetzt. Ein seltener Glücksfall: Als Kirchwinkelschule der Pfarre St. Willibrord 979 gestartet, sind bis zum Wiener Kongress 1815 alle Küster, die gleichzeitig Lehrer waren, lückenlos namentlich bekannt.
Ein Schulgebäude mit langer Geschichte: Die Grundschule Alt-Merkstein.
Zahlreiche Details wusste Wanderführerin Maria Dünwald zu berichten. Klassenstärken von 80 bis hundert Schülern, noch in preußischer Zeit, als die Schule längst staatliche Elementarschule war, waren keine Seltenheit.
1890, Gründungsjahr des heutigen Gebäudes an der Hauptstraße, wurde die erste Lehrerin eingestellt. Aber allgemeines Kopfschütteln: Weibliche Lehrer mussten im Zölibat leben!
Im Keller des Schulhauses war – noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Bad mit Wannen und Duschen eingerichtet für die Alt-Merksteiner Bevölkerung, die damals nicht über eigene Bademöglichkeiten verfügte. Samstags wurde in der Schule gebadet.
Weiter ging es zur Kirche St. Willibrord, eine der ältesten in der gesamten Umgebung. Ihre interessante Baugeschichte durch Jahrhunderte wurde lebendig. Der untere Teil des Turmes stammt noch aus romanischer Zeit.
Blick vom Bahnsteig der Euregiobahn auf die Pfarrkirche St. Willibrord.
Der Volkspark und ganz aktuell die Bemühungen um seine Neugestaltung, der ehemalige Kruckhof, im vorigen Jahrhundert Eigentum des Malers Eugen Klinkenberg, die Bedeutung der Hauptstraße mit ihren ehemals vielen Geschäften und Handwerksbetrieben – gespannt hörten die „Heimatwanderer“ zu.
Auf dem Lindenknipp, noch vor 100 Jahren als Dorfbleiche genutzt, erinnerte Maria Dünwald an Josef Uebachs, von 1952 bis zu seinem Tod 1988 Gemeinderats- und Stadtratsmitglied, davon viele Jahre stellvertretender Bürgermeister. „Wenn Jupp Uebachs für die Bürger etwas durchsetzen wollte, marschierte er durch die Institutionen und wich nicht, bis eine Lösung in Sicht war.“
Einst Dorfbleiche: Der Lindenknipp in Alt-Merkstein.
Aufschlussreich die Bedeutung von Straßennamen. Die Bungartzstraße würdigt den Pfarrer, der 1924 hier Antoniuskloster und Waisenhaus sowie die erste Bewahranstalt, sprich Kindergarten, gründete. Schön zu sehen, dass diese Pioniertat heute in modernen Einrichtungen weiterlebt.
Auch die alten Merksteiner erfuhren vieles, was ihnen noch nicht bekannt war.
Ein besonderes Schmuckstück: das Pastorat der Pfarre St. Willibrord. 1713, zum Schutz gegen Räuber mit Wassergraben und Zugbrücke angelegt, mutet es noch heute an wie ein Herrenhaus. Der damalige Pfarrer Fabricius war wohlhabend und zahlte 2400 Taler aus eigener Tasche! Anteil der Gemeinde nur 400 Taler.
Als 80 Jahre später französische Revolutionstruppen den Pfarrer Rosenbaum verhaften wollten, weil er sich weigerte, den Eid auf die französische Verfassung abzulegen, entzog sich dieser dem Zugriff eine ganze Nacht lang unter der Brücke im Wassergraben.
Das Pastorat in Alt-Merkstein.
In jüngster Zeit, so Maria Dünwald, seien durch eine private Spendenaktion die beiden Figuren Peter und Paul, die vor dem Pastorat stehen, von Kriegsschäden befreit und künstlerisch restauriert worden. Ihrem Schöpfer, dem Baesweiler Bildhauer Franz Hubert Wings wa4ren sie wohl Vorbild für den von ihm geschaffenen Herzogenrather Moses, der später von den Nazis zerstört wurde.
Die Spaziergänger in der Bungartzstraße vor dem Neubau des Kinderheimes.
Dann führte der Weg in die Scherbstraße, die erste befestigte und damit älteste Straße in Merkstein. Der Name ist nicht eindeutig geklärt, die Geschichte, die sich mit dieser Straße verbindet, umso interessanter. Im Haus Nr. 16 lebte im 18. Jahrhundert Baltus Kirchhoffs, einer der führenden Bockreiter, älterer Bruder von Josef Kirchhoffs, dem Bockreiter-Hauptmann. Wahrscheinlich sind auch hier in der Scherbstraße die neuen Gesellen vereidigt worden. Baltus, der eine gut gehende Schusterwerkstatt betrieb, starb an den Folgen der Folter, ohne einen Namen verraten zu haben. 26 Merksteiner Bockreiter endeten am Galgen auf dem Herbacher Feld.
Alte Gehöfte mit viel Vergangenheit bereichern die Scherbstraße.
Auf dem Weg zum Grube-Adolf-Park, vorbei an der Waidmühl und entlang der Floeßer Straße, wurden die AWO-Freunde flugs in die jüngere Vergangenheit versetzt. Wo heute zwei Hunde-Vereine ihr Freizeitgelände haben, stand seit 1913 (Abteufen der Grube Adolf) die Menage, das Ledigenheim für junge ledige Bergleute.
Schließlich rief Maria Dünwald das dunkelste Kapitel unserer Geschichte in Erinnerung: Auf diesem Gelände entstand unter Nazi-Herrschaft 1938 zunächst ein Kriegsgefangenenlager für Jugoslawen, Kroaten, Polen und andere, ab 1942 ein Lager für russische Zwangsarbeiter, die täglich unter Bewachung zur Schwerstarbeit in der Grube geführt, miserabel ernährt und als Untermenschen behandelt wurden. 44 von ihnen, in 22 Gräbern, haben auf dem Friedhof Lange Hecke ihre letzte Ruhestätte gefunden..
Am Streiffelder Hof schließlich war man in der jüngsten Geschichte angekommen. Mithilfe eines Bürgerbegehrens vor dem Abriss gerettet, ist er heute offener Jugendtreff und Heimstatt der DJO – Deutsche Jugend in Europa und der FMJ Förderverein Merksteiner Jugend. Hier wurde auch an den erfolgreichen Kampf um das Merksteiner Freibad erinnert.
Die Hans-Landrock-Straße, die zum Fördermaschinenhaus führt, würdigt den langjährigen Merksteiner Bürgermeister und Betriebsratsvorsitzenden auf Adolf, der viel für die Bergleute und ihre Familien geleistet hat.
Lebendige Erinnerung an den Steinkohlenbergbau in Merkstein.
Bevor sich die AWO-Gruppe gemütlich bei Kaffee und Kuchen im Zelt vor dem Kiosk niederließ, erzählte Maria Dünwald vom Abriss der beiden Fördertürme, 1991 bei einer Nacht- und Nebelaktion durch den EBV, vom Bemühen zum Erhalt von Fördermaschinenhaus und Lüftern und von der Leistung der ehemaligen Kumpel, die dieses letzte Zeugnis der Merksteiner Bergbaugeschichte zu dem Kleinod gestaltet haben, als das es heute die Besucher empfängt. Zwei Stunden bei schönstem Frühlingswetter – ein aufschlussreicher Spaziergang durch mehr als 1000 Jahre Merksteiner Geschichte.
Der Verein Bergbaudenkmal Adolf unterhält das verbliebene Fördermaschinenhaus als Besucherzentrum.
(Fotos: Ilona Koch)